In den letzten Tagen war ich etwas verpeilt. Eigentlich wäre gestern der perfekte Tag gewesen, um auf die beiden ersten Artikel des Grundgesetzes einzugehen, denn der 17. Mai ist seit 1990 der
Internationale Aktionstag gegen Homophobie
(und alles, was mit LGBT… zu tun hat). Kaum zu glauben, bis zu diesem Datum war Homosexualität im internationalen Diagnoseschlüssel ICD-10 als Krankheit gelistet. Für Männer waren homosexuelle Handlungen außerdem bis 1994 strafbewehrt (die sog. „175er“).
Die unverbrüchliche Würde des Menschen (jedes Menschen!) und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit war den Betroffenen (nicht ihrer Orientierung, sondern der Diskriminierungen) damit lange Zeit verwehrt.
Ähnlich wie auch für andere Gruppen, zum Beispiel Frauen und Behinderte, sind die einzelnen Artikel der Grundrechte noch nicht alle und komplett durchgesetzt. Das ist übrigens nichts Außergewöhnliches, auch in anderen Verfassungen, beispielsweise der Verfassung der USA oder auch in der UN-Menschenrechte-Charta, sind etliche Paragraphen enthalten, die nicht den Ist-Zustand widerspiegeln, sondern auf die Erfüllung einer wünschenswerten Gesellschaftsnorm hinarbeiten (im Fall der USA bereits seit 1776 und die Amerikaner sind immer noch nicht fertig damit😉).
Ich halte das im Grunde für einen recht schlauen Ansatz, denn so ist gewährleistet, dass immer, zu jeder Zeit und kontinuierlich, daran gearbeitet werden muss, die Zusagen des Papiers mit Leben zu füllen.
Aber nun zum eigentlichen Thema:
Wenn alle ähnlich ticken würden, könnte man sich nach der Lektüre dieser beiden Artikel eigentlich schon zurücklehnen und denken:
„Joa, damit ist alles gesagt.“
Aus der schmerzlichen Erfahrung des NS-Regimes wussten die 61 Väter und vier Mütter des Grundgesetzes allerdings nur zu gut, dass eben nicht alle Adressaten in gleicher Weise dachten und vermutlich auch nie denken werden.
Geradezu beschämend ist es meiner Meinung nach, dass gerade in den letzten Jahren die Funktionäre einer noch jungen Partei (ihr Pubertät und Rüpelalter zu unterstellen, verniedlicht das Problem allerdings unzulässig), die „Deutschland zuerst“ und andere angeblich patriotische Parolen schmettern, keinerlei Probleme haben, sehr vielen Menschen die unantastbare Menschenwürde abzusprechen.
Bereits beim ersten Artikel unserer Verfassung, auf die die Repräsentanten des Staates einen Eid ablegen, versagen sie komplett und sind auch noch stolz darauf.
Wenn wir alle uns bemühen, diese beiden ersten Artikel zu beherzigen, dann sind wir übrigens – nicht ganz unbeabsichtigt – in der Nähe zu
„Du sollst deinen Nächsten lieben* wie dich selbst“ (3. Mose 19,18)
(*im Sinne von: achten, respektieren)
Es wird uns nicht immer gelingen. Nicht mit jeder Person, nicht in jeder Situation, aber Übung macht bekanntlich den Meister.
Vor allem aber hält das Grundgesetz uns an, die mit den Grundrechten einhergehenden Pflichten ebenso ernst zu nehmen.
Und daran hapert es an vielen Ecken…
Ich freue mich, wenn ihr eure Gedanken zu diesen Grundrechten in den Kommentaren oder auch in eigenen Beiträgen teilt. Ich finde, es ist dringend an der Zeit, diese wichtigen Denkanstöße in einer anderen, konstruktiveren Weise zu diskutieren, als es gewisse Meinungsführer zurzeit tun.
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Nicht wenige verwechseln leider Pflichten mit Zwang, wie ich vor einer Weile mal wieder in einer Diskussion bei meiner Friseuse feststellen musste.
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Ja, das stimmt. Und es lässt mich jedes Mal ratlos zurück.
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Mich auch. Ich wusste eine Weile nicht, was ich darauf antworten sollte.
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Moin Anja. Nehme den 23. = 75 Jahre GG. Ansonsten nicke ich zustimmend.
Grüße aus OH
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Ja, klar. Eigentlich hätte ich auch, aber ich nehme, wie bei der Meinungsfreiheit auch, aktuelle Anlässe, um auf die einzelnen Grundrechte hinzuweisen. In den nächsten Wochen gibt es so einige Termine, die sich für GG und auch EU anschaulich eignen. Das wird bei mir eine lose Reihe.
Grüße zurück🙂
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Sehr gut 🙂 Für’n 23. habe ich auch was im Hinterkopf, mal sehen, ob ich’s schaffe.
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