Nach dem Buch Die Erfindung der Bundesrepublik, das ich hier bereits vorgestellt habe, ist dieses nun das zweite, das sich mit den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland befasst. Es war alles andere als einfach, Lehren aus der NS-Vergangenheit, gute Ansätze der Weimarer (und noch früherer) Verfassungen, die Forderungen der Alliierten und die eigenen Ansprüche der Nachkriegspolitiker unter einen Hut zu bekommen.
Das betonen übrigens beide Titel, vielleicht, um einer verklärenden Nostalgie des „Früher war alles besser“ gleich im Keim entgegenzuwirken.
Unmittelbar nach dem Krieg sind vielfach die Frauen das starke Geschlecht. Sie müssen das Land aufrecht erhalten, die Versorgung, den Wiederaufbau, die anfallenden Arbeiten, da viele Männer entweder noch in Gefangenschaft sind oder im Krieg gefallen waren. Sie ziehen ihre Kinder auf, kümmern sich um Alte, Kranke und Versehrte, sind zahlenmäßig den Männern überlegen, aber sie werden auch häufig Opfer von Vergewaltigungen und Unterdrückung.
Sie gründen Ausschüsse und organisieren den Alltag: gründen Suppenküchen und Kleiderkammern, leisten medizinische und seelsorgerliche Hilfe.
Als der parlamentarische Rat und später der erste Bundestag in Kraft treten, sind sie allerdings heillos unterrepräsentiert. Die Männer der unterschiedlichen Parteien sehen nicht so recht ein, warum Frauen beteiligt werden sollen.
Noch viele Jahrzehnte später sollte ein SPD-Bundeskanzler alles, was mit sozialen (Frauen-) Themen zu tun hat, als Gedöns bezeichnen. Jedenfalls war die Klärung des Artikels 3 des Grundgesetzes, der im Lauf der ersten Legislaturperiode mit Leben gefüllt werden sollte, das erste bundesweite Projekt, das es erst nach mehreren Anläufen zum Ende der zweiten Legislaturperiode schaffte, auch nur annähernd realisiert zu werden. Dass damit aber die eigentliche Forderung des Artikels 3, Absatz 2 »Männer und
Frauen sind gleichberechtigt« erfüllt ist, ist utopisch. Daran arbeiten wir heute noch.
Im Buch werden diese Tatsachen ebenso ausgebreitet wie anschließend die ersten Parlamentarierinnen in Kurzbiographien vorgestellt werden. Fünf von ihnen sogar von Literatinnen verschiedener Altersgruppen und Prägungen auf besonders poetische Art. Starke, aber nicht unverletzliche Frauen, die ihren Weg auch gegen Widerstände und persönliche Schicksalsschläge nie aufgaben. Die allen Widrigkeiten auf ganz unterschiedliche, aber beharrliche Art trotzten und der jungen Bundesrepublik mit viel Energie und Ausdauer (und oft auch einem „dicken Fell“) dienten.
Ein lesens- und bedenkenswertes Buch für alle, die sich ernsthaft mit der Geschichte unseres Landes auseinandersetzen, aber auch ein Lehrstück für die Menschen, die sich frühere Verhältnisse zurückwünschen.
Dazu noch sehr angenehm und flüssig lesbar, finde ich. Und eine Lektüre, die gerade in der derzeitigen deutschen und europäischen Situation angebracht ist.
Bibliographische Angaben: Hrsg. Der deutsche Bundestag (Redaktion: Natalie Weis), Der nächste Redner ist eine Dame, Ch. Links Verlag, ISBN 978-3-96289-210-4, 25,- €