Rhetorik

Sie kann ein mitreißendes Mittel sein, um Menschen für etwas zu begeistern.

Zum Beispiel für einen Wandel hin zu einer gerechteren Welt, wie im Fall der Rede von Martin Luther King, deren ikonische Worte „I have a dream … „ ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegangen sind.

Aber auch zur Aufwiegelung der Massen, wie bei dem (leider) ebenfalls begnadeten Rhetoriker Joseph Goebbels, der in seiner historischen Sportpalastrede euphorische Zustimmung auf die Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ erntete.

Sie ist also, wie die allermeisten Werkzeuge, derer wir uns bedienen, ein zweischneidiges Schwert. Aber gerade weil es in der Geschichte hinreichend Beispiele gibt, wie die Auswirkungen rhetorisch brillanter Argumentationen nicht nur im besten, sondern vor allem im schlimmsten Fall aussehen können, wünsche ich mir seit längerer Zeit schon, dass rhetorische Mittel mit mehr Bedacht eingesetzt werden.

Denn Worte führen zu Meinungsbildung und diese äußert sich bekanntlich in den letzten Jahren immer mehr in Taten, die dem Zusammenleben der unterschiedlichen Menschen nicht gut tun.
Unter anderem ist das ein starker Grund, gegenüber extremistischen Parteien misstrauisch zu sein: Wo brutale Rhetorik und systematische Beleidigungen nicht nur des politischen Gegners, sondern auch von beachtlichen Teilen des „eigenen Volkes“ zum Markenkern gehören oder den Machthabern autokratischer Regimes nach dem Mund geredet wird, da ist kein Patriotismus zu finden, auch wenn er noch so sehr behauptet wird.
(Trotzdem ist es ein No Go, wenn Wahlkampfstände tätlich angegriffen werden. Sachbeschädigung und Körperverletzung bleiben das auch, wenn sie beispielsweise gegen die AfD eingesetzt werden. Auf das Niveau dieser Partei dürfen Demokraten sich nicht herablassen!)

Als noch schlimmer empfinde ich es, wenn Vertreter der demokratisch legitimierten Parteien sich zunehmend nicht mehr zu schade sind, mit Rhetorik-Kanonen zu schießen, die ihrer Rolle unwürdig sind.
Wie zum Beispiel hier:

Quelle:https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/cdu-linnemann-gruene-100.html

Ein bürgerliches Bündnis. Hm. Und die Grünen sind demzufolge nicht bürgerlich?
Was sagt denn der Duden dazu, das maßgebliche Werk für alle Zweifelsfälle der deutschen Sprache?

Eine Bedeutung betrifft unser aller Eigenschaft als Staatsbürger und die uns zustehenden Rechte und Pflichten (z.B. das bürgerliche Recht).
Fazit: Auch Grüne sind Staatsbürger, haben Rechte und Pflichten wie alle anderen auch.
Die zweite Hauptbedeutung beschäftigt sich eher mit Eigenschaften wie dem Stand, den Konventionen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe:
-dem Bürgertum angehörend (z.B. bürgerliche Familie, (gut)bürgerliche Küche, ein bürgerliches Leben), hier als Merkmal eines bodenständigen Milieus, das nicht irgendwie abgehoben ist.
Aber Hallo! Auch in diesen Bereichen finden sich Grüne wieder.
spießbürgerlich, also engstirnig als Abwertung dessen, was ich eben beschrieben habe.

Bestimmt gibt es auch spießbürgerliche Grüne. Ich wüsste nicht, dass diese Eigenschaft an Parteigrenzen scheitert.

Bürgerlich wird häufig synonym zu konservativ verwendet.
In meiner Wahrnehmung sind die Ziele der Grünen zum Teil äußerst konservativ:
Die Bewahrung der Schöpfung, also der Lebensgrundlagen für alle, ein fruchtbares Miteinander verschiedener menschlicher Kulturen, die Achtung des nichtmenschlichen Lebens als Garant für auskömmliche Lebensräume, die uns Menschen Ökosystemdienstleistungen zur Verfügung stellen zum Beispiel.
Ja, sie verlassen dafür konventionelle Wege, denken andere Gedanken, schauen auf alternative Handlungsmöglichkeiten und sie provozieren auch.
Aber die Fragen seien gestattet und durchaus ernst gemeint:
Wo wären wir heute, wenn sich diese Partei nicht vor über 40 Jahren gegründet hätte?
Wenn sie nicht provoziert hätten?
Wenn sie nicht Finger in offensichtliche Wunden gelegt hätten?
Wenn sie nicht auch in manchem Bereich ganz praktisch und pragmatisch gezeigt hätten, dass es „anders“ geht?

Sie zeigen dem angeblich christlichen Weltbild, das aber in der Realität Markt, Wachstum und Leistungsträger vor die klassischen Werte Nächstenliebe, Empathie und Demut stellt, Grenzen auf. Und ob man sie nun wählen möchte oder nicht, sie sind inzwischen ein notwendiges Korrektiv zum Schneller – Höher – Weiter der Ökonomie-Gurus.

Wenn also Politiker der konservativen oder wirtschaftsliberalen Ausrichtung die rhetorischen Mittel in der demokratischen Auseinandersetzung so einsetzen, dass sich weniger differenziert denkende Mitmenschen bemüßigt fühlen, diesen linksgrün versifften, woken Besserwissern physisch „einen auf den Deckel“ zu geben, dann kann ich nicht umhin, ihnen eine Mitverantwortung an der Verrohung des Umgangs zu geben.

Sie sollten es besser wissen und besser machen!

Quelle: https://www.rnd.de/politik/nach-angriff-in-essen-gruenen-politiker-rolf-fliss-zeigt-sich-kaempferisch-7PQXSWPVEFGKRPZVZS5LR3VPKU.html

Ebenso verkehrt ist es übrigens meiner Meinung nach, wenn ein Parteivorsitzender einer Klientelpartei immer dann, wenn er mit unliebsamen Argumenten konfrontiert wird, diese nicht in der Sache entkräften will oder kann, sondern seinen Gesprächspartnern stets eine falsche Sicht der Dinge, Unwissen oder sogar Realitätsverweigerung entgegenhält (hier nachzulesen). Aber das ist schon wieder ein anderes Thema und wird an einem anderen Montag Platz finden.


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Autor: Annuschka

Ostwestfälisch beharrlich, meistens gut gelaunt, Buchhändlerin, Ehefrau, Mutter von drei tollen Töchtern, Hundemama, Jugendarbeiterin (in zeitlicher Reihenfolge des Auftretens). Mit vielen Interessen gesegnet oder geschlagen, je nach Sichtweise ;-)

3 Kommentare zu „Rhetorik“

  1. An das Thema Rhetorik musste ich gestern Abend auch denken, als in den Nachrichten unsre altbekannten bayrischen Hetzer der „cs“U und der Freien Wähler – Innenminister Herrman, Söder und natürlich Aiwanger – zu Wort kamen und die gewaltsamen Ausschreitungen gegen Politiker:innen scharf verurteilten. Und dabei wie stets natürlich völlig unter den Tisch fallen ließen, dass sie seit vielen Jahren (oder gar Jahrzehnten, siehe Herrmann) mit zu den größten verbalen Zündlern der Republik gehören.

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