Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es nicht das Ende.
Den Spruch kennen wir vermutlich alle. Und er ist ein richtiges Chamäleon, scheint mir. Manchmal tut es gut, diesen Satz zu hören. Er richtet uns auf und spendet Zuversicht. Manchmal empfinden wir ihn aber auch als Kitsch oder Binsenweisheit. Vielleicht sogar als übergriffig.
Oder wer liebt nicht Bücher oder Filme mit der beruhigenden Aussicht: das war es jetzt an Dramatik. Ab jetzt geht das Leben schön seine geordneten Bahnen und es gibt keinen Zank, keine Trennung, kein Leid, das einfach mal so dazwischengrätscht. Obwohl oder gerade weil wir zu häufig die Erfahrung machen, dass es „in Echt“ nur selten so schön aufgeht.
Aber ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen? Ja, wir wünschen es uns mitunter: Prinz und Prinzessin (wahlweise auch zwei Prinzen oder zwei Prinzessinnen…) reiten gemeinsam auf dem weißen Pferd (oder dem Drahtesel) in den Sonnenuntergang und leben bis ans Ende ihrer Tage in vollendeter Harmonie💖.
Echt jetzt?
Vielleicht will das Traumpaar Kinder haben. Ich wage mal die Prognose: Spätestens beim Zahnen, der Trotzphase und in der Pubertät des Nachwuchses ist Harmonie ein absolutes Wunschkonstrukt. Da sind eher Nerven wie Drahtseile angesagt.
Oder eine der beteiligten Personen bekommt DIE Karrierechance am anderen Ende der Welt, die andere kann sich aber überhaupt nicht vorstellen, den eigenen Landkreis zu verlassen.
Oder was auch immer der Harmonie ins Handwerk pfuscht. Schließlich gibt es auch noch Konstellationen, wo der Begriff „Happy End“ bedeuten kann, dass sich herausstellt: Für ewige Liebe reicht es nicht, aber wir können eine Freundschaft bewahren, die viel wertvoller ist.
Wir wissen das alles, so rein vom Verstand her. Trotzdem tut es gut, sich ab und zu glückselig seufzend den Illusionen hinzugeben, auch wenn sie zerplatzen werden wie Seifenblasen. Ich denke, wir brauchen beides: die Bodenständigkeit und den Pragmatismus einerseits, den Kitsch und die Romantik andererseits.
Den Blick darauf, dass es sich oftmals um Klischees handelt, sollten wir uns jedenfalls nicht vernebeln lassen, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Sonst droht Bruchlandung in der Realität.
Ähnlich, nur in Schwarzweiß statt Regenbogenbunt, verhält es sich bei der Trauer. Auch da haben wir oft Bilder im Kopf, wie sie auszusehen hat.
Obwohl es in sehr vielen Fällen ausgedient hat: die Vorstellung der trauernden Witwe in schwarzer Kleidung zum Beispiel. (Mir ist übrigens auch früher nicht aufgefallen, dass Witwer ein Jahr im schwarzen Anzug verbrachten. Hm. Oder habe ich einfach nicht darauf geachtet?)
Überhaupt, das Trauerjahr.
Fing eine verwitwete Person zu früh wieder an, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wurde sie schief angeguckt, war da etwa schon vor dem Tod etwas im Argen? Das gehörte sich doch nicht.
Trauerte sie (oder er) über das offizielle Trauerjahr hinaus öffentlich wahrnehmbar, wurde ebenfalls gemunkelt. Man solle sich doch nicht so in seiner Trauer vergraben, das Leben gehe schließlich weiter…
Die institutionalisierte Trauer gibt sicher manchem Menschen Halt, kann Unsicherheiten minimieren, eine Art Leitplanke darstellen. Aber im Grunde genommen ist Trauer eine sehr individuelle Sache. Wenn ein frischer Witwer in Gedenken an seine langjährige Ehefrau zwei Monate nach ihrem Tod die Karibikkreuzfahrt macht, auf die beide gemeinsam jahrelang gespart haben, weil er sich ihr dabei nah fühlt, ist das für ihn die richtige Bewältigungsstrategie.
Wenn eine noch recht junge Frau sich auch fünf Jahre nach dem Tod ihres Mannes nicht auf eine neue Beziehung einlassen mag, weil ihr Seelengefährte nach wie vor die wichtigste Rolle für sie spielt, ist es für sie vermutlich keine Verweigerung der Tatsache, dass er nicht wiederkommt.
Im Einzelfall kann ein Todesfall auch dazu führen, dass eine Person aus einer Abhängigkeit oder einer toxischen Beziehung endlich entkommen kann und gar nicht lange trauert, sondern bald erleichtert ist.
Sowohl auf der Sonnenseite des Lebens, im Überschwang der rosaroten Gefühle als auch auf den Tiefpunkten und in den schwärzesten Stunden, gibt es allerdings auch Menschen, die Schwierigkeiten haben, von der Wolke herunter oder aus dem tiefen Tal herauszukommen.
Das herauszufinden, ist knifflig und erfordert Empathie und Menschenkenntnis. Vor allem aktives Zuhören hilft. Oder auch stilles Beobachten. Signalisieren, dass man da ist, wenn es not tut. Diese drei Grundsätze machen eine gute Seelsorge aus. Man sollte jedenfalls nicht mit ungebetenen Warnungen oder Ratschlägen die Mitmenschen verbal erschlagen.
Wir haben eine so breitgefächerte Klaviatur an Gefühlen, an Möglichkeiten der Teilnahme, der geteilten Freude und des miteinander Aushaltens, dass wir uns unnötig klein machen, wenn wir uns nur auf die beiden Pole einlassen.
Diese Überlegungen gehen mir seit Tagen durch den Kopf, weil es im Studium derzeit schwerpunktmäßig um Figuren geht. Wie gestalte ich lebensechte Figuren, die Ecken und Kanten haben, positive und negative Charakterzüge? Die mit allem, was sie ausmacht, nicht zweidimensional bleiben, sondern uns beim Lesen in ihren Bann ziehen oder auch mal abstoßen. Die wir gern kennenlernen würden oder um die wir am liebsten einen großen Bogen machen möchten. Und dazu gehört auch der Umgang mit den ganz großen Gefühlen des Lebens.
Es geht um den Unsympathen, der aber in einem bestimmten Thema ordentliche Ansichten hat und um die beste Freundin, deren Macke uns trotz aller Freundschaft auch mal zum Ausrasten bringen kann.
Es geht um Leute wie dich und mich.
Ich teile meine Überlegungen mit euch, weil ich mir neben mehr Klarheit im Denken auch erhoffe, dass sich in den Kommentaren ein wenig Lebensweisheit ansammelt😊.
Mit zusätzlicher Lebensweisheit kann ich nicht dienen. Du hast alles geschrieben. Finde ich!
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Ach, wenn wir lange genug kramen, fällt uns bestimmt noch was ein😉.
Aber danke jedenfalls.
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