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Auf dem Titelfoto ist noch der „Nominiert“-Sticker. Seit Dienstag allerdings ist dieses Buch mit dem deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet.
Wie der Börsenverein mitteilt, begründet die Jury ihre Entscheidung für Christina Morina so:
„Demokratien befinden sich auf der ganzen Welt in der Krise, darüber herrscht weitgehende Einigkeit. Die Frage aber, was es eigentlich heißt, Demokratie zu leben, gerät dabei oft in den Hintergrund. Christina Morina nutzt bisher wenig beachtete Quellen, um zu zeigen, wie unterschiedlich sich das Demokratieverständnis in Ost- und Westdeutschland seit den 1980er Jahren entwickelt hat. Ihre methodisch raffinierte und augenöffnende zeitgeschichtliche Analyse auf der Grundlage von Briefen, Petitionen und Flugblättern gibt Bürger:innen der DDR und der BRD eine Stimme. Morina liefert mit diesem Buch überraschende und notwendige Impulse für die aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen. Ihr Buch riskiert viel, ohne zu polarisieren – Demokratie ist Prozess, kein Zustand.“
Christina Morina, Historikerin, forscht seit 2019 an der Universität in Bielefeld. Geboren wurde sie 1976 in Frankfurt/Oder, studiert, geforscht und gelehrt hat sie bereits an verschiedenen internationalen Standorten. Man kann ihr also keinesfalls eine einseitige Sichtweise unterstellen, was dem Thema zugute kommt.
Im Buch beschäftigt sie sich mit der Auswertung vieler Briefe, Flugblätter, Konzeptpapieren und Demozettel von ganz normalen Bürgern in Ost und West aus der Zeit um 1989.
Sie spürt dem unterschiedlichen Aufbruchsgeschehen nach, dem Wunsch nach Beteiligung, Anhörung, einer Identität als Staatsbürger, nach dem Gefühl, wichtig und repräsentiert zu sein. Und sie bezieht die Jahre vor und nach der Wende mit ein.
Sie begibt sich auf die manchmal überraschende, oftmals schmerzhafte Suche danach, wie es soweit kommen konnte, dass gerade jetzt nach der Europawahl beim Blick auf die grafische Darstellung der Stimmenverteilung der Eindruck entstehen könnte, dass die Teilung Deutschlands fortbesteht. Im Gegensatz zu der entweder politikwissenschaftlichen oder soziologischen Untersuchung der Entwicklung in den letzten Jahren konzentriert sie sich auf die historischen Erfahrungen und Voraussetzungen beiderseits der deutsch-deutschen Grenze, die mit der Einheit aufeinanderprallten.
Allerdings führt eben diese Betrachtung privater Korrespondenzen an den jeweiligen Bundespräsidenten auch dazu, die Befindlichkeiten westdeutscher Bürger in den Jahren 1980 bis 1989 nachzuvollziehen, was teilweise ein anderes Licht auf bundesrepublikanische Meinungsvielfalt wirft (die damals offensichtlich ebenso vielfältig wie heute war, aber nicht so öffentlich).
Ein lesenswertes Buch, das viel dazu beitragen kann, die nur anscheinend offensichtlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen einzuordnen und gegenseitiges Verständnis zu wecken. Es lohnt sich definitiv, sich mit diesem Buch ausführlich auseinanderzusetzen.
Bibliographische Angaben: Christina Morina, 1000 Aufbrüche, Siedler Verlag, ISBN 978-3-8275-0132-5, 28,- €
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