Rechtsprechung. Jemand hat das Rechte (= Richtige) getan oder ist ein rechtschaffener Bürger. Eine andere Person wird als „linke Bazille“ bezeichnet, weil man sich auf ihre Zusagen nicht verlassen kann oder sie opportunistisch handelt. Linkisch bedeutet ungeschickt.
Und wenn jemand ungeschminkt seine Gedanken herausposaunt, ist er „geradeheraus“. „Wahlen werden in der Mitte gewonnen.“
Während man denen, die in eine oder andere Richtung tendieren, immer eine zweifelhafte Agenda unterstellt, je nach Perspektive.
Wann bezeichnen wir etwas als rechts oder links? (Historisch geht das Schema auf die französische Revolution zurück und hat tatsächlich noch etwas mit Sitzplätzen – in der Nationalversammlung – zu tun.)
Und warum ist immer diejenige Person, die auf der anderen Seite steht, falsch abgebogen und überhaupt einfach doof?
Warum halten wir die Mitte einerseits für erstrebenswert, aber andererseits für langweilig?
Zurzeit gilt mit einiger Berechtigung die Annahme, dass uns rechtsradikale Kräfte am meisten bedrohen. (Mal von einigen unverbesserlichen Großrednern abgesehen, die in bewährter Manier Feindbilder … ach lassen wir das für den Augenblick.) Der Grund ist offensichtlich, die Parallelen zu einer Zeit vor 100 Jahren sind augenfällig, wenn auch nicht 1:1 vergleichbar.
Nun könnten die Linksterroristen, die lange Zeit untergetaucht waren und mehr oder weniger unter dem Radar der Behörden vor sich hin lebten, die Beine von sich strecken und ihren Lebensabend genießen, weil alle in die andere Richtung blicken. Sollte man meinen.
Allerdings gibt es für Polit-Extremisten, egal welcher Couleur, vermutlich keine Rentenkasse. Das sollte bereits aus den 1950er und 60er Jahren eine Lehre sein, lebten und lehrten doch damals viele Altnazis heimlich, still und manchmal auch gar nicht so leise weiterhin an deutschen (Hoch-)Schulen, sprachen Recht in Gerichten, lebten ihr unauffälliges Familienleben.
Und so ist es vielleicht auch nicht weiter verwunderlich, dass gerade jetzt, wo sich ganz langsam auch erzkonservative Personen der Rechtsaußenproblematik unangenehm bewusst werden, die Seniorengangs der RAF irgendwie wieder an die Oberfläche gespült werden: Guckguck, wir sind auch noch da. Samt denjenigen, die sie heute mit Demos und eigenen militanten Aktionen unterstützen. Und so wird auch die wohlfeile Hufeisentheorie wieder aktuell.
Ich kann beiden Polen der gesellschaftlichen Bandbreite absolut nichts abgewinnen. Wenn jemand, egal aus welcher Richtung, versucht, anderen mit Gewalt seine Sichtweise aufzuzwingen, kann das niemals legitimiert werden.
In jüngeren Jahren habe ich schon mal argumentiert: Besser Gewalt gegen Sachen als gegen Menschen. Allerdings ging es dabei auch eher um Teile der Antifa, denn zu der Zeit des sogenannten Deutschen Herbstes war ich noch zu jung, um auch nur ansatzweise von den Geschehnissen etwas zu begreifen. Heute sage ich eher (über mich): denn sie wusste noch nicht, was sie im Lauf der Jahre erfahren hat.
Heute sage ich: Gewalt geht für mich gar nicht. Gewalt ist immer zerstörerisch. Auch Dinge sind Werte, sie wurden erbaut, es wurden Ressourcen verbraucht, Menschen haben Zeit und Geld für Entwicklung, Bau und Erwerb investiert.
Die Mitte mag langweilig erscheinen. Aber sie ist ein Stabilitätsanker, um sie kreist alles andere, sie sucht den Ausgleich der Interessen und Ansprüche. Sie hört zu und antwortet. Sie diskutiert, statt niederzubrüllen. Sie ist inklusiv. Sie erkennt andere an.
Ähm. Moment. Was schreibe ich denn da? Ist das (noch) die Realität? Oder ist es Wunschdenken, Utopie oder gar ein Märchen?
Ich schätze mal, es ergeht vielen Menschen ähnlich wie mir. Wir bevorzugen die Mitte. Nicht, weil wir entscheidungsscheu sind oder keine eigene Meinung haben. Sondern weil uns die Tugenden der Mitte erstrebenswert und wichtig sind. Weil wir wissen oder zumindest eine starke Ahnung haben, dass nicht wir der Nabel der Welt und die einzigen Anspruchsberechtigten sind. Deswegen tauchen wir auch oft gar nicht sichtbar auf, denn die Mitte ist viel leiser als die Ränder. Das ruhige Auge im Zentrum des Sturms.
In der aktuellen unübersichtlichen Gemengelage scheinen aber manche Kompasse nicht mehr richtig zu funktionieren. Sie haben eine Missweisung, werden abgelenkt von störenden Magnetfeldern, verlieren ihre Wegweisungskraft und erscheinen unzuverlässig.
Und was machen wir dann? Wir gehen nicht voran, weder geradeaus noch rechts oder links, sondern wir bleiben stehen. Bevor wir uns falsch bewegen, bewegen wir uns lieber gar nicht und hoffen auf eine Erleuchtung, jemanden mit dem untrüglichen und unausweichlich einzig richtigen Weg. Aber wir wissen eigentlich ja auch alle, dass selbst Google Maps nicht immer die beste Wahl für den richtigen Weg ist.
Keine Rechtfertigung. Nur einer von vielen Erklärungsversuchen.
Immer noch irgendwie ratlos.