Rechts, links, geradeaus?

Quelle: Pixabay

Rechtsprechung. Jemand hat das Rechte (= Richtige) getan oder ist ein rechtschaffener Bürger. Eine andere Person wird als „linke Bazille“ bezeichnet, weil man sich auf ihre Zusagen nicht verlassen kann oder sie opportunistisch handelt. Linkisch bedeutet ungeschickt.
Und wenn jemand ungeschminkt seine Gedanken herausposaunt, ist er „geradeheraus“. „Wahlen werden in der Mitte gewonnen.“
Während man denen, die in eine oder andere Richtung tendieren, immer eine zweifelhafte Agenda unterstellt, je nach Perspektive.

Wann bezeichnen wir etwas als rechts oder links? (Historisch geht das Schema auf die französische Revolution zurück und hat tatsächlich noch etwas mit Sitzplätzen – in der Nationalversammlung – zu tun.)
Und warum ist immer diejenige Person, die auf der anderen Seite steht, falsch abgebogen und überhaupt einfach doof?
Warum halten wir die Mitte einerseits für erstrebenswert, aber andererseits für langweilig?

Zurzeit gilt mit einiger Berechtigung die Annahme, dass uns rechtsradikale Kräfte am meisten bedrohen. (Mal von einigen unverbesserlichen Großrednern abgesehen, die in bewährter Manier Feindbilder … ach lassen wir das für den Augenblick.) Der Grund ist offensichtlich, die Parallelen zu einer Zeit vor 100 Jahren sind augenfällig, wenn auch nicht 1:1 vergleichbar.
Nun könnten die Linksterroristen, die lange Zeit untergetaucht waren und mehr oder weniger unter dem Radar der Behörden vor sich hin lebten, die Beine von sich strecken und ihren Lebensabend genießen, weil alle in die andere Richtung blicken. Sollte man meinen.
Allerdings gibt es für Polit-Extremisten, egal welcher Couleur, vermutlich keine Rentenkasse. Das sollte bereits aus den 1950er und 60er Jahren eine Lehre sein, lebten und lehrten doch damals viele Altnazis heimlich, still und manchmal auch gar nicht so leise weiterhin an deutschen (Hoch-)Schulen, sprachen Recht in Gerichten, lebten ihr unauffälliges Familienleben.
Und so ist es vielleicht auch nicht weiter verwunderlich, dass gerade jetzt, wo sich ganz langsam auch erzkonservative Personen der Rechtsaußenproblematik unangenehm bewusst werden, die Seniorengangs der RAF irgendwie wieder an die Oberfläche gespült werden: Guckguck, wir sind auch noch da. Samt denjenigen, die sie heute mit Demos und eigenen militanten Aktionen unterstützen. Und so wird auch die wohlfeile Hufeisentheorie wieder aktuell.

Ich kann beiden Polen der gesellschaftlichen Bandbreite absolut nichts abgewinnen. Wenn jemand, egal aus welcher Richtung, versucht, anderen mit Gewalt seine Sichtweise aufzuzwingen, kann das niemals legitimiert werden.
In jüngeren Jahren habe ich schon mal argumentiert: Besser Gewalt gegen Sachen als gegen Menschen. Allerdings ging es dabei auch eher um Teile der Antifa, denn zu der Zeit des sogenannten Deutschen Herbstes war ich noch zu jung, um auch nur ansatzweise von den Geschehnissen etwas zu begreifen. Heute sage ich eher (über mich): denn sie wusste noch nicht, was sie im Lauf der Jahre erfahren hat.
Heute sage ich: Gewalt geht für mich gar nicht. Gewalt ist immer zerstörerisch. Auch Dinge sind Werte, sie wurden erbaut, es wurden Ressourcen verbraucht, Menschen haben Zeit und Geld für Entwicklung, Bau und Erwerb investiert.

Die Mitte mag langweilig erscheinen. Aber sie ist ein Stabilitätsanker, um sie kreist alles andere, sie sucht den Ausgleich der Interessen und Ansprüche. Sie hört zu und antwortet. Sie diskutiert, statt niederzubrüllen. Sie ist inklusiv. Sie erkennt andere an.
Ähm. Moment. Was schreibe ich denn da? Ist das (noch) die Realität? Oder ist es Wunschdenken, Utopie oder gar ein Märchen?
Ich schätze mal, es ergeht vielen Menschen ähnlich wie mir. Wir bevorzugen die Mitte. Nicht, weil wir entscheidungsscheu sind oder keine eigene Meinung haben. Sondern weil uns die Tugenden der Mitte erstrebenswert und wichtig sind. Weil wir wissen oder zumindest eine starke Ahnung haben, dass nicht wir der Nabel der Welt und die einzigen Anspruchsberechtigten sind. Deswegen tauchen wir auch oft gar nicht sichtbar auf, denn die Mitte ist viel leiser als die Ränder. Das ruhige Auge im Zentrum des Sturms.

Wer genau hinschaut, sieht auf diesem Foto drei Kurse auf den unterschiedlichen Messinstrumenten. Obwohl der Bug nur in eine Richtung ausgerichtet ist.

In der aktuellen unübersichtlichen Gemengelage scheinen aber manche Kompasse nicht mehr richtig zu funktionieren. Sie haben eine Missweisung, werden abgelenkt von störenden Magnetfeldern, verlieren ihre Wegweisungskraft und erscheinen unzuverlässig.

Und was machen wir dann? Wir gehen nicht voran, weder geradeaus noch rechts oder links, sondern wir bleiben stehen. Bevor wir uns falsch bewegen, bewegen wir uns lieber gar nicht und hoffen auf eine Erleuchtung, jemanden mit dem untrüglichen und unausweichlich einzig richtigen Weg. Aber wir wissen eigentlich ja auch alle, dass selbst Google Maps nicht immer die beste Wahl für den richtigen Weg ist.

Keine Rechtfertigung. Nur einer von vielen Erklärungsversuchen.
Immer noch irgendwie ratlos.


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Autor: Annuschka

Ostwestfälisch beharrlich, meistens gut gelaunt, Buchhändlerin, Ehefrau, Mutter von drei tollen Töchtern, Hundemama, Jugendarbeiterin (in zeitlicher Reihenfolge des Auftretens). Mit vielen Interessen gesegnet oder geschlagen, je nach Sichtweise ;-)

15 Kommentare zu „Rechts, links, geradeaus?“

  1. Moin Anja.
    Ich denke mal, wir sind alle auf unseren Wegen schon mal falsch abgebogen. Links oder rechts, die berühmte 50-Prozent-Chance … oder wie es der große Poet Otto W. einst sagte:
    „Rechts oder links – welch große Frage! Vor ihr stand Beckenbauer einst, als er, von Rummenigge angespielt, sich frug, wohin des Leders Rund er flanken sollte. Nach links, auf Müllers schussgewalt’gen Fuß? Nach rechts, wo schon das Lockenhaupt des Uli Hoeneß nach dem Ball sich reckte?“
    Wenn ich darf, noch ein Satz von Jan Diedrichsen dazu, den ich mir vor Jahren aus einer dänischen Zeitung kopiert habe, unsere Nachbarn sind vielleicht in Vielem einfach pragmatischer als wir:
    „Die Abkehr vom alten Koordinatensystem: Rechts oder links, bürgerlich, rot oder populistisch? Die alten Koordinaten in der Politik helfen im 21. Jahrhundert nicht mehr unbedingt weiter, wenn es darum geht, die Zusammenhänge zu verstehen – und politische Kulturen miteinander zu vergleichen.“
    Ich werde dem Jan Diedrichsen nicht widersprechen 😉
    Grüßem schönes WE!

    Gefällt 3 Personen

    1. Danke für die kleine Geschichte des Poeten (und Philosophen) Otto W. Ich habe unwillkürlich den O-Ton in meinem inneren Ohr😂. Und Herr Diedrichsen hat mit Sicherheit ein weises Wort ausgesprochen. Ich habe heute früh beim Schreiben schon überlegt, ob ich in diese Richtung weitersuche, weil immer mehr dafür spricht, dass diese Richtungseierei nicht mehr zeitgemäß ist.
      Ein schönes, sonniges Wochenende auch dir.

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    2. Wow! Danke für den Link. Ein ausführlicher Beitrag, dem ich beipflichten kann. Ich habe es bisher nie so ausführlich geschrieben, sehe es aber in großen Teilen so ähnlich.
      Tschüss😃

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    3. Danke. Das war in der Zeit, als ich auch noch für einen befreundeten Journalisten geschrieben habe … und wenn Mann schon mal recherchiert, Fakten zusammensucht, dann konnte bisweilen soetwas für den eigenen Blog bei rauskommen 😉
      so, hier scheint die Sonne, ich MUSS jetzt raus 😉

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    4. Hier scheint sie auch. Ich habe jetzt 1 1/2 Stunden Rosen geschnitten und etwas die Terrasse gefegt. Jetzt möchte mein Knie wieder etwas gehätschelt werden😅. Aber jedes bisschen Bewegung, was wieder möglich ist, tut gut. Und die Sonne sowieso. Leider hat unser Nachbar seinen Kartoffelbunker nicht in die Luft gehängt. Im Frühjahr haben wir auf der Terrasse oft noch Schatten, wenn wir uns über Sonne freuen würden. Im Sommer, wenn es mittags schattig sein dürfte, scheint die Sonne drüber weg🤷‍♀️

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  2. Ich finde die Mitte überhaupt nicht langweilig. Es gilt doch immer, das richtige Maß zu finden. Und dieses ist nicht starr, sondern flexibel. Wenn ich „mitschwinge“, passiert unheimlich viel. Ja, ich weiß, es klingt recht schwammig. Das kommt davon, weil ich mich gerade von alten Vorstellungen löse und neue noch nicht festgelegt sind. Wobei ich mich vielleicht auch nicht mehr festlegen will…. 🫂

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  3. Die sogenannte bürgerliche Mitte hat uns mindestens sechszehn Jahre Stillstand beschert – Kohl & Merkel & diverse Koalitionspartner. Ohne die sogenannte bürgerliche Mitte wäre das NS-Regime niemals zustande gekommen. Und deine Ausführungen über die politische Mitte – Stabilitätsanker, Ausgleich, zuhörend, antwortend und diskutierend anstatt niederzubrüllen halte ich in der Tat für Utopie. Bürgerliche Mitte – das ist so ein Begriff, der von sämtlichen Politikschranzen aller Parteien immer dann aus der Versenkung geholt und über Gebühr strapaziert wird, wenn Wahlen bevorstehen. Oh! Darf man Politikschranzen überhaupt noch schreiben? Oder habe ich Böse jetzt auch wieder Leute in Schubladen gesteckt…
    Es gilt mit „einiger Berechtigung“, dass uns rechtsradikale Kräfte am meisten bedrohen? Angesichts der Beweislage seit etlichen Jahren schon finde ich, dass diese Annahme mit VOLLSTER BERECHTIGUNG existiert. Und ich wüsste bitte gerne mehr über die militanten Aktionen der extremen Linken.
    Ganz ehrlich, ich finde diesen Blogpost nicht sehr gelungen.

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    1. Und deswegen gilt es, dieser Wählerschaft bessere Angebote zu machen. Wähler kann man zurückholen. Die Parteifunktionäre selbst eher nicht.

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    2. Liebe Martha, es bleibt dir unbenommen, den Blogpost nicht gelungen zu finden. Wenn ich nur schreiben würde, was jeder und jede beifällig beklatschen kann, hätte ich mein Ziel verpasst.
      Ja, du hast zweifellos recht mit deinem Befund, dass die Mitte, wenn sie sich auf das Schweigen beschränkt, auch vieles versemmeln oder sich einlullen lassen kann. Trotzdem ist sie über lange Zeit immer wieder auch ein notwendiges Korrektiv.
      „Mit einiger Berechtigung“, diese Einschränkung habe ich lediglich deswegen genutzt, weil es schon fast ein Witz ist, dass ausgerechnet zu einer Zeit, als es fast hätte gelingen können, auch sehr Konservative von der Gefahr von Rechts zu überzeugen, die Alt-RAF wieder auf dem Radar erscheint, samt Unterstützerdemos und Radau. Auch der offene Antisemitismus sehr linker Gruppierungen ist nicht zu unterschätzen. Aus dem Bewusstsein, dass die israelische Regierung gerade großen Mist baut, darf sich keinesfalls eine allgemeine Verurteilung des Judentums bzw. jüdischer Menschen ableiten.

      Allein die Tatsache, dass die Mitte der Gesellschaft (was schon ein sehr breites Spektrum ist) nicht perfekt ist, spricht ihr nicht die Existenzberechtigung ab.

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  4. Wir erleben gerade eine zunehmende Radikalisierung – an beiden Rändern. Die Mitte hingegen scheint ratlos, wohl auch deshalb, weil es kaum ein passendes Wahlangebot zu geben scheint. Stattdessen biedern sich Konservative bei den Rechten an. Ein Rechtsruck scheint unausweichlich. Doch hat die vielzitierte „schweigende Mehrheit“ gezeigt, dass sie das nicht mit trägt. Hoffentlich bleibt das bis zum Wahltag im Gedächtnis.

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    1. Wenn das, was an Aktionen und Demos im Januar und Februar gelaufen ist, nicht aufrecht erhalten wird, könnte es in Vergessenheit geraten.
      Wenn die Menschen, denen die Demokratie am Herzen liegt, aber einen langen Atem beweisen, dann haben wir Chancen, durchzudringen.

      Gefällt 1 Person

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