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Zielgerade. Das letzte Kapitel heißt „Sitzt, passt, wackelt und hat Luft“. Handwerkerphilosophie, oder eher Heimwerker? Naja, bei so manchem ist es total okay (zum Beispiel wenn ich die Tapete etwas schief angeklebt oder den Teppich am Rand etwas krumm zugeschnitten habe) , aber es gibt nun mal auch Gewerke, da sollte alles ganz genau passen. Wasser- oder Gasleitungen sollten eher kein „Spiel haben“. Aber was bedeutet es denn, wenn etwas „wackelt und Luft hat“? Es bedeutet, dass Entwicklungsspielraum da ist. Eine gewisse Freiheit, Unberechenbarkeit, Uneindeutigkeit.
Uneindeutigkeit? Stopp, das wollen wir ja wohl überhaupt nicht. Vor allem wir Deutschen, quasi die Erfinder der Normierung: was bei uns alles unter DIN-Normen fällt… In den letzten Monaten haben wir eine große Sehnsucht nach Normierung und Eindeutigkeit gehabt: Immer dann, wenn neue Corona-Verordnungen erlassen wurden, die dieses Mal ganz bestimmt für alle Bundesländer gelten sollten, aber dann machte am Ende doch jedes Bundesland irgendetwas anders als die anderen.
Das ist eben das Dilemma: Wir möchten einerseits ganz verständlich überall dieselben Regeln, weil wir dann wissen, wie wir uns zu verhalten haben und weil es unser Gerechtigkeitsempfinden berührt. Aber andererseits fordert dasselbe Gerechtigkeitsempfinden, dass nicht alles über einen Kamm geschoren wird, sondern nach der gesundheitlichen Lage vor Ort entschieden wird. Ambiguität (Mehrdeutigkeit) nennt sich das Phänomen, das wir nur mit großen Schwierigkeiten aushalten können. Diese Schwierigkeiten dürften auch aktuell dazu beitragen, dass wir nicht freimütig sagen können: Ja, du bist anderer Meinung als ich, und ich kann deine Gründe auch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, aber für mich gelten in dem Punkt andere Prioritäten, daher bewerte ich die Frage anders. Wir haben beide Vorteile und Nachteile auf der Hand, jetzt lass uns damit konstruktiv umgehen. (Ganz klar, damit meine ich natürlich nicht diejenigen, die vor lauter Eindeutigkeitswahn keinem Argument mehr zugänglich sind und lieber in Verschwörungserzählungen abtauchen). Wir müssen uns nicht nur passiv damit abfinden, dass unsere menschliche Existenz weder berechenbar noch eindeutig ist: wenn wir es gut machen, dann können wir genau auf dieser Welle der Unberechenbarkeit und Ambiguität unser Leben surfen!
Die bibliografischen Angaben findest du hier.
Danke, dass du uns beim Lesen durch die Kapitel mitgenommen hast, es waren einige sehr inspirierende Gedanken dabei.
Zu diesem hier fällt mir irgendwie auch ein, und der Titel des Buches suggeriert ja den Vergleich zur Mathematik: Probieren ist eine anerkannte mathematische Methode. Es gibt nicht für alles eine Formel, und gerade jetzt lernen wir im Ungewissen zu surfen. Danach wird es unzählige wissenschaftliche Auswertungen geben, und bei der nächsten Pandemie, die wir und möglichst viele Generationen hoffentlich nicht erleben werden, ist die Menschheit wieder ein Stückchen schlauer. Was nicht heißt, dass dann alle alles glauben werden und mitziehen, wenn es für sie unbequem wird.
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Freut mich sehr, dass es dich inspiriert hat. Der Vergleich zur Mathematik ist ja auch durchaus gewollt. Die Autoren sind in der Planung für das Buch von Corona überrannt worden und ich habe des Öfteren gedacht, die Überlegungen der beiden sind echt maßgeschneidert. Die Denkanstöße haben mir jedenfalls gut getan.
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