Das heutige Kalenderblatt des Fastenkalenders stellte mir die Frage
Wo beginnt für mich die weite Welt?
Während ich also Kaffee kochte, dachte ich über diese Frage nach. Mit der ersten Tasse, die ich morgens stets allein in Ruhe trinke, setzte ich mich zur zehn-Minuten-Freischreibzeit. Das Wort Fremd kam mir in den Sinn.
Fremd sind wir alle – in den allermeisten Gegenden der Erde. Nämlich überall dort, wo wir nicht zu Hause sind. Wenn wir auf Reisen sind und ein Lieblingsziel haben, wo es uns immer wieder hinzieht, lernen wir es immer besser kennen und nach einer Weile ist es wie „nach Hause kommen“, wenn wir im Urlaubsort ankommen.
Fremdenzimmer. So nannte meine Mutter früher unser Gästezimmer, das stets bezugsbereit war, weil meine Tanten und Onkel immer mal wieder zu Besuch kamen. Als Kind wunderte ich mich immer über das komische Wort, waren es doch niemals Fremde, die dort übernachteten.
Erst eine ganze Weile später erfuhr ich, dass es etwas damit zu tun hatte, wie Tourismus in den Jahren des Wirtschaftswunders anfangs funktionierte:
In den Orten, in denen Menschen Urlaub machten, räumten die Einheimischen im Sommer ihre Schlafzimmer und zogen in den Keller oder den Schuppen. Die Schlafzimmer wurden als Fremdenzimmer vermietet.
Fremd ist also das Gegenteil von bekannt. So weit, so sachlich. Fremd ist aber auch immer eine Art von Klassifizierung: anders, exotisch, nicht zugehörig zu … was auch immer.
Etwas Fremdes ist also auch meist etwas Trennendes. Und für viele Menschen entweder etwas Verlockendes oder zumindest eine Notwendigkeit, in die Fremde zu ziehen, das Fremde kennenzulernen und mit Glück eine zweite oder neue Heimat zu finden. Im besten Fall durch Integration in die bestehende Gesellschaft, wenn es nicht ganz so gut läuft, durch Badetücher auf Strandliegen, im schlimmsten Fall durch brutale Eroberung.
Es zieht uns unwiderstehlich in die Fremde (aus irgendeinem unerfindlichen Grund fällt mir ein Lied ein, das meine Mutter früher öfter sang: „Hinaus in die Ferne, mit Butterbrot und Speck, das ess‘ ich ja so gerne, das nimmt mir keiner weg. Und wer das tut, der kriegt eins auf die Schnut‘, einen auf die Nase, dass sie blut‘!“ Ich weiß bis heute nicht, ob das ein echtes Lied war oder ob sie es erfunden hat🤔).
Als Abenteuer, Freizeitbeschäftigung oder als Kick. Einmal im Leben wie Kolumbus, Cook oder Humboldt fühlen.
Mitunter ist es auch einfach die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben, ohne Diskriminierung oder gar Verfolgung durch autoritäre Regimes, ohne Hunger und Not oder um in seinem Leben eine Perspektive für die Zukunft zu finden.
Aber wehe, das Fremde kommt zu uns, möchte an unserem Leben teilhaben, sich hier wohlfühlen. Dann wird das Fremde allzu leicht bedrohlich. Es scheint uns etwas abspenstig zu machen, unsere Heimat zu verkleinern oder unsere Ansprüche zu beschneiden.
Was wir oft relativ gedankenlos und selbstverständlich in Ordnung finden, wenn wir es in der Fremde tun, sehen wir als No-Go in unserer Umgebung. Können die Fremden denn nicht woanders fremd sein?
Könnten wir das auch ganz anders sehen? (Um der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen: Die meisten von uns tun das bereits.)
Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennengelernt hat.
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Das ButterbrotundSpeckLied ist echt 🙂
Meine Mutter sang das auch.
Guten Morgen dir & Grüße, Reiner
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Guten Morgen Reiner,
danke für den sachdienlichen Hinweis😄.
LG Anja
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Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.
(Karl Valentin)
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So ist es.
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