Mit der weiten Welt
Nur eines von 195 anerkannten Ländern als Beispiel:
Peru, in den letzten Monaten durch die Medien gewabert als angebliches Zeichen verfehlter Entwicklungspolitik bzw. Geldverschwendung der deutschen Regierung.
Unser Kopfkino, wenn es um Peru (oder auch die angrenzenden Länder Chile, Ecuador oder Bolivien beispielsweise) geht, ist in weiten Teilen immer noch: Exotik, Panflöten, farbenfrohe Ponchos, Machu Picchu, Nasca, Titicacasee, Lamas und Alpakas. Mit dem Soundtrack von Simon & Garfunkel El Condor pasa.
Aber Peru ist so viel mehr. Ein Land mit grandioser Natur in drei unterschiedlichen Zonen: die unwirtliche Küste, die meist ebenso unwirtlichen Anden und eine große Regenwaldregion, die wiederum selbst aus unterschiedlichen Subzonen besteht. Eine große Vielfalt an Pflanzen, Tieren und hier vor allem Vögeln gehört zu diesem Staat, der diese auch als schützenswertes Naturerbe in die Landesverfassung aufgenommen hat!
Umso bemerkenswerter, weil es ein starkes soziales Gefälle gibt, gerade indigene Bewohner des Landes leben überdurchschnittlich häufig unterhalb der Armutsgrenze. Trotzdem ist den meisten Menschen bewusst, dass ihre Natur, ihre Biodiversität und die Ökosystemleistungen unverzichtbar sind für die Kultur, die Zukunftsfähigkeit, aber natürlich auch die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Heimat. Und wiederum im krassen Gegensatz zu dieser Erkenntnis, die wir uns hierzulande oft viel stärker berücksichtigt wünschen, steht der hohe Korruptions- und Misswirtschaftsgrad.
Kurz gesagt: alle Länder dieser Erde haben ihre Baustellen, mehr oder weniger ausgeprägt.
Peru erlangte im Januar hierzulande traurige Berühmtheit, als von verschiedenen Seiten kolportiert wurde, Deutschland habe kein Geld für „unsere Landwirte“, weil „die Ampel“ unter anderem 315 Millionen Euro in Radwegeinfrastruktur in Peru investiere. Diese Zahl ist nicht nur blanker Unsinn, wie man hier nachlesen kann, es handelt sich außerdem auch nicht um Geld, das von der aktuellen Regierung eben mal so rausgehauen wurde, sondern um eine langfristige Zusammenarbeit. Die fragliche Maßnahme wurde übrigens während der letzten Groko 2020 beschlossen.
Darüber hinaus gibt es valide Gründe dafür, dem Land für die Entwicklung einer Fahrradinfrastruktur unter die Arme zu greifen.
Ich greife mal ganz gezielt einen Punkt heraus:
Die Industriestaaten des hochentwickelten Westens haben lange Zeit hervorragend von der Ausbeutung ihrer (ehemaligen) Kolonien gelebt – und tun es noch. Auch wir hier in Deutschland und sogar „unsere Landwirte“ (Stichwort Dünger).
Bodenschätze wie fossile Energien, Edelmetalle, seltene Erden und Minerale, aber auch landwirtschaftliche Produkte wie Fisch, Avocados, Weintrauben oder Mais (gern als Kraftfutter für europäisches Mastvieh). Nicht zu vergessen, dass des Deutschen liebste Feldfrucht und (nicht nur nett gemeinter) Spitzname, die Kartoffel, aus Peru stammt. Oder dass wir sehr viel peruanischen Kaffee trinken. Seit etwa 40 Jahren haben peruanische Landwirte außerdem Spargel im Anbau, weil die Europäer zu ungeduldig sind, auf die recht kurze Spargelsaison in ihren eigenen Ländern zu warten.
Schaut einmal im Januar in die Prospekte eures Lebensmittelhändlers, wie viele Produkte aus Peru in unsere Supermärkte kommen, obwohl wir selbst sie auch anbauen, nur halt nicht im Winter.
Ich halte es für gerecht(fertigt), wenn wir unsererseits dort mithelfen, dass die Verkehrsinfrastruktur in den Ländern, von denen wir wirtschaftlich profitieren, mit der Entwicklung der Länder mithalten kann. Und das auf eine nachhaltige, umweltschonende und inklusive Weise. Inklusiv deswegen, weil sich auch wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen, oft Indigene und/oder Frauen, ein Fahrrad (im Gegensatz zum Auto) leisten können und damit unabhängiger werden. Teilhabe darf kein hohles Schlagwort ohne Füllung bleiben.
Das berühmte Über-den-Tellerrand-schauen hat keineswegs ausgedient. Auch und vielleicht sogar erst recht nicht in einer Zeit, in der wir uns die ganze Welt aufs Smartphone holen.
Just my 2 Cents.