Wo ich an diesem Wochenende schon thematisch in der Mitte bin… ich schulde euch noch den Mittelteil meiner Geschichte Moorhexe. Und zum Fastenwochenmotto „Mit der Schöpfung“ passt sie auch. Nach längerem Überlegen setze ich auch tatsächlich nur die Mitte, die ich als Einsendeaufgabe geschrieben habe, hier ein. Erstens kennt ihr den Anfang und das Ende bereits, zweitens müsste ich alles gemeinsam noch ein wenig bearbeiten, dazu fehlt mir aber gerade die Ruhe und drittens stehen bei mir Überlegungen für einen Geschichtenband im noch sehr nebulösen Raum. Die müssen sich aber noch konkretisieren.
Wir sind also wieder mit Frau Schäfer und Hannes an der kleinen Moorkate am Rande des Moores…
Frau Schäfer umrundete das Haus. Hannes folgte ihr durch den Garten, an dessen Ende ein Tor in der dichten Hecke aus Schlehen, Holunder und Wildrosen den Weg freigab.
Neugierig sah er sich um. So sah Moor aus? Ein Fußweg führte durch struppiges Strauchwerk. Nach etwa 100 Metern machten die Sträucher einem Wäldchen Platz. Nichts Sumpfiges weit und breit. Das hatte er sich anders vorgestellt.
Frau Schäfer, die einige Schritte vor ihm ging, drehte sich um. „Das hatten Sie sich sicher anders vorgestellt, oder? Keine Bange, den meisten Stadtmenschen geht es so. Sie haben dramatische Bilder im Kopf, ob durch Annette von Droste-Hülshoff oder die Herr der Ringe-Filme.“
Sie begann in gedämpfter, dramatisch verstellter Stimme zu proklamieren: „O schaurig ist’s, übers Moor zu gehen…Gollum!“
Hannes blieb der Mund offenstehen. Woher wusste sie, was ihm durch den Kopf ging? Hatte sie außer einem offensichtlich schrägen Humor auch übersinnliche Gaben? Ach was. Aberglaube. Hallo! Er war schließlich Theologe!
Er blickte seine Begleiterin an, räusperte sich und meinte unsicher: „Na ja, ehrlich gesagt kenne ich Moore bisher vorwiegend aus den Medien. Ich wüsste nicht, wo es im Ruhrgebiet Moore gibt…“
„Ach, die gibt es ganz bestimmt. Abgetorft und trockengelegt, möglicherweise sogar überbaut. Zumindest am Rand, im südlichen Münsterland, gibt es noch Moore. Allerdings nicht so große Flächen wie hier.“ Sie breitete die Arme aus.
Unvermittelt öffnete sich das Wäldchen und gab die Aussicht auf eine Landschaft frei, die Hannes so noch nie gesehen hatte. Staunend blieb er stehen und Frau Schäfer tat es ihm gleich. Ein paar Minuten nahmen sie still die Eindrücke auf.
„Auch dieses Moor wurde lange missbraucht. Vor ungefähr 11.000 Jahren begann es sich zu bilden, als ein altes Flussbett der Weser verlandete. Vor ungefähr 100 Jahren begann man mit der Abtorfung und Trockenlegung. Der Torf wurde zunächst als Brennstoff genutzt, später in den Gärten. Auch meine Mutter heizte in meiner Kindheit noch mit Torfbriketts. Und die Bauern brauchten Land für ihr Vieh und für Getreide, damit die Ernährung der nach dem Krieg ausgehungerten Bevölkerung wieder in Gang kam. Beides nachvollziehbare Gründe, aber dieser wunderbare Lebensraum, der so karg aussieht und doch so viele Tiere und Pflanzen beheimatet, die nirgends sonst leben können, der wäre beinahe draufgegangen. So lange Zeit hatte es sich entwickelt, und so schnell zerstörte man es…“
Zur Bestätigung ihrer laut geäußerten Gedanken nickte Frau Schäfer Hannes energisch zu, dann fuhr sie fort: “Auch zu Heilzwecken nutzt man Torf, wussten Sie das? Überall hier in der Gegend gibt es immer noch sogenannte ‚Bauernbäder‘, kleine Anbieter für Kuranwendungen in den Dörfern. Während die Stadtmenschen ihre Zipperlein in mondänen Badeorten kurierten, konnten die Bauern nach Feierabend in diesen Einrichtungen ihre müden Knochen in Holzbottiche mit warmen Moorbädern tauchen.“
„Ah, das erklärt Vieles.“ Hannes ging ein Licht auf. „Ich habe ein Schild im Nachbarort gesehen, konnte mir aber keinen Reim darauf machen.“
Einvernehmlich machten beide die ersten Schritte auf dem federnden Pfad. Der Boden war nachgiebig und doch fest, er duftete leicht nach Holz und auch ein wenig nach Vergänglichkeit. Hannes blickte sich um.
„Aber ist das nicht Heide dort drüben? Ich wusste nicht, dass die auch im Moor wächst.“
„Gut beobachtet, junger Mann. Die Heidefläche dort hinten ist noch sehr trocken. Es sind Bereiche, die im Rahmen der Wiedervernässung noch nicht erreicht wurden. Die Besenheide stammt noch aus den Zeiten, als dem Moor das Wasser im wahrsten Sinn des Wortes abgegraben wurde. Hier vorne, wo das Wollgras wächst, mit den weißen Puscheln“, Frau Schäfer zeigte Hannes das charakteristische robuste Gras, „sehen Sie auch Wasserflächen, kleine Tümpel und den Moorsee, der von einem Torfstich übrigblieb.“
Während dieses Gespräches gingen sie langsam weiter. Frau Schäfer stoppte dann und wann, um Hannes auf Insekten, einen Moorfrosch und ein paar unscheinbare Pflanzen hinzuweisen.
Nach ein paar Kilometern machten sie eine Pause auf einem der Aussichtstürme und Frau Schäfer teilte die Zwischenmahlzeit aus ihrem Rucksack mit Hannes. Andächtig blickte der auf die Landschaft rundum.
„Mir wird jedes Mal das Herz weit, wenn ich wieder ein Stück der faszinierenden Schöpfung kennenlerne“, flüsterte er. „Es ist alles so gut durchdacht. Eines greift ins Andere. Wie kann man bei einem solchen Anblick an Gott zweifeln?“
„Vielleicht, weil Gott auch die Menschen geschaffen hat, die sich für so unendlich überlegen halten und dabei diese Schöpfung mutwillig zerstören?“ mutmaßte Frau Schäfer. „Aber ich weiß, was Sie meinen. Geht mir auch so, vor allem frühmorgens oder vor dem Sonnenuntergang.“
Am Rande eines kleinen Tümpels neben dem Weg bedeutete Frau Schäfer Hannes, sich auf den Boden zu legen. Sie legte den Finger über den Mund, deutete auf die Vögel, die sich in der Nähe niedergelassen hatten, zückte ihre Kamera und machte konzentriert ein paar Aufnahmen. Zwischendurch raunte sie Hannes zu: „Ganz großes Kino. Das sind Bekassinen, sehr seltene Vögel. Ihr oberster Chef möchte Ihnen heute offensichtlich etwas Besonderes bieten.“
Ehrfürchtig beobachtete Hannes die ulkigen Bodenbrüter mit den langen Schnäbeln. Ein Blick nebenher auf seine Uhr ließ ihn stutzen. Wo waren nur die letzten drei Stunden geblieben?
Mir sind leider noch keine Bekassinen und auch keine Moorfrösche vor die Linse gekommen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Einen schönen Sonntag wünsche ich euch. Und hört euch ruhig mal um, wo es in eurer Gegend Moore gibt. Es sind absolut faszinierende Landschaften.
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Danke für diese Geschichte. Dir auch einen schönen Sonntag 🌄🌄🌄
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Danke. Und gern geschehen😊
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